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Der erste Tag endete mit der Erkenntnis, dass es aktuell wenig wahrscheinlich ist, dass von Seiten der Politik die notwendige Korrektur des Wirtschaftssystems mit dem nötigen Impetus angestrebt wird. Aber selbst wenn dies wo wäre, stellt sich die Frage, ob unser System überhaupt reformierbar ist? Einen Versuch wäre es aber wert.

Wird unser System nicht reformiert, droht der Systemcrash. Wie würde dieser aussehen, welche Folgen hätte er? Und wie sähe eine Ökonomie aus, die nachhaltiger wäre? Die uns als Leitbild für die Zukunft dienen könnte? Mit diesen Fragen beschäftigte sich der zweite Tag dieses Symposiums.

Zweiter Tag: Grundgedanken einer neuen Ökonomie

  1. Dr. Michael Kalff: „Systemcrash? Und was kommt danach?“
    Die aktuellen Krisenszenarien beschäftigen sich derzeit vorwiegend mit zwei Themen: Einerseits mit den Gefahren der Finanzmärkte und den damit verbundenen Systemgefahren, die aus dem Platzen von „virtuellen“ Finanzblasen herrühren, und andererseits mit der kommenden Ölknappheit (Peak Oil). Wir stehen aber vor vielen weiteren Systemgefahren, die jede für sich zu einem Crash unseres westlichen Wirtschaftssystems führen können.
    Die Schlussfolgerung: Unser Wachstumsmodell funktioniert nicht mehr. Die Industriegesellschaft, wie wir sie heute kennen, ist am Ende. Wie können Post-Crash-Welten aussehen? Hierzu existieren unterschiedliche Szenarien, die alle von globalen Grundgedanken ausgehen. Ein gelingender Übergang in eine globale Gesellschaft erfordert aber wichtige Transformationen unserer bisherigen Paradigmen. Eine Ökonomie ohne Wachstum (Steady State), zukunftsfähige Geldsysteme, sozial wesentlich gerechtere Umverteilungen (Grundeinkommen?), eine veränderte Arbeitswelt und eine Stärkung des zivilgesellschaftlichen Sektors werden dabei eine wichtige Rolle spielen, um einen „neuen nachhaltigen Kapitalismus“ zu schaffen.
    » Zusammenfassung und Vortrag 
  2. Prof. Dr. Niko Paech: „Grundlagen einer Postwachstumsökonomie“
    Wirtschaftswachstum ist keine Option mehr für das 21. Jahrhundert. Die Verbreitung von Hunger und Armut, der drohende „Peak Oil“, der sich mehr und mehr als Teil eines „Peak Everything“ erweist, der Klimawandel als Zeichen ökologischer Grenzen und auch Katastrophen wie Fukushima zeigen die Grenzen unserer Ökonomik. Das Resultat: Die klare Forderung nach einer Postwachstumsökonomik.
    Den Weg dahin weist die Frage: Welche Phänomene sind es, die zu den sozialen und ökologischen Verwerfungen des modernen Wirtschaftens führen? Als elementare Antwort erweist sich die sog. Fremdversorgung, die grundlegend zu den pathologischen Erscheinungen wie dem Effizienzmythos, der sozialen Vulnerabilität und zum strukturellen und kulturellen Wachstumszwang führt. Setzt man bei Lösungsmodellen hier an, stehen schnell wichtige Begriffe wie Resilienz, Subsistenz und Suffizienz im Vordergrund. Die Zukunft einer Postwachstumsökonomie liegt damit in einer grundlegenden Veränderung des Lebens- und Arbeitsstils unserer Gesellschaft und unserer Produktionsstrukturen, die sich alle recht genau beschreiben und in einem übergreifenden Maßnahmenkatalog zusammenfassen lassen.
    » Zusammenfassung und Vortrag
  3. Ralph Boes: „Grundeinkommen in Gesellschaft und Familie“
    Zur Verringerung des zunehmenden Wohlstandsabstandes von Reich und Arm sowie zur Förderung familiärer und gemeinnütziger Aufgaben wird seit einigen Jahren zunehmend die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens überlegt. Es kann ein wichtiges Instrument sein, die Folgen aus der Produktivitätssteigerung wie hohe Arbeitslosigkeit mit all den entsprechenden Sekundärfolgen (u.a. HartzIV und Kinderarmut und soziale Degradation) zu mindern.
    Die Finanzierung eines derartigen Grundeinkommens ist durchaus als realistisch zu bezeichnen, es erfordert allerdings eine sinnvolle Umgestaltung der derzeitigen kostenträchtigen sozialen Verwaltungsstrukturen.
    » Zusammenfassung (in Vorbereitung)
  4. Podiumsdiskussion:
    „Glück statt Bruttoinlandsprodukt? Mehr Sein statt Tun? Welche Leistung soll sich lohnen?“

    Teilnehmer: Prof. Dr. Niko Paech, Dr. Michael Kalff, Dr. Michael Harder
    Bei diesem Symposium wurde bewusst auf einen einzelnen Vortrag zu diesem Thema verzichtet, um dieses interessante und vielfältige Thema nicht mit einer dann möglicherweise reduzierten Sichtweise zu „erschlagen“ Stattdessen wurde die Form der Podiumsdiskussion gewählt.

    Hintergrund: Das Unbehagen am BIP als messbaren Erfolgsfaktor einer Gesellschaft hat mittlerweile auch die regierenden Politiker erfasst. So hat der französische Präsident Sarkozy Anfang 2008 eine Kommission unter Leitung des Ökonomen Joseph Stiglitz (= Stiglitz-Kommission) eingesetzt, um der Frage nachzugehen, wie man das Wohlergehen einer Gesellschaft messen kann. Ende November 2010 hat der britische Premierminister David Cameron das britische Amt für Statistik beauftragt, einen „Happiness-Indikator“ als Grundlage für künftiges Regierungshandeln zu entwickeln. Und im Dezember 2010 hat der Deutsche Bundestag die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ eingesetzt.  
    Grundlage dafür ist  zusätzlich die Erkenntnis, dass ab einem gewissen Wohlstand eine weitere Steigerung des Einkommens kaum zu einer erhöhten Lebenszufriedenheit beiträgt (Easterlin-Paradoxon).
    Der Himalaya-Staat Bhutan hat sogar die Steigerung des „Bruttosozialglücks“ zur Staatsphilosophie ernannt. Nun ist Bhutan ein nach Außen abgeschotteter Staat. Dort ist die Einführung anderer Wertmaßstäbe einfach. In den vielfach verknüpften, offenen westlichen Gesellschaften ist ein derartiger Paradigmenwechsel naturgemäß deutlich schwieriger.

    Ist dieser Paradigmenwechsel in der Messlatte gesellschaftlicher Erfolge aber wichtig für eine nachhaltige Ökonomie? Liegt hier gleichzeitig der eigentlich wirksame Anreiz für einen Richtungswechsel in ökonomischen Fragen? Und wie kann man „Happiness“ messen? Oder sind andere Größen geeigneter?

    Die vielen Aspekte dieser Diskussion sind hier (versuchsweise) zusammengefasst:
    » Zusammenfassung der Podiumsdiskussion

Zusammenfassung des zweiten Tages:

Die vorgetragenen Fakten und Ansichten weisen deutlich darauf hin, dass eine Art „Crash“ unseres derzeitigen Wirtschaftssystems unvermeidlich ist – wenn nicht bereits kurzfristig die notwendigen Transformationen in unserer Gesellschaft beginnen. Was aufgrund des Zögerns der Politik nicht zu erwarten ist.
Es bleibt aber die Frage, wann und in welcher Form der Crash kommen wird. Ist es ein Crash der Sozialversicherungen, des Politikversagens, der Demografie, der Rohstoffversorgung, der Wirtschaft und ihres Wachstums, des Finanzsystems und damit der Banken oder der Staatsverschuldungen oder ist es sogar einer, den noch niemand auf der Rechnung hat?

Unabhängig davon zeichnet sich ab, wie eine Industriegesellschaft der Zukunft aussehen müsste. Es würde eine Postwachstumsökonomie sein, in der ein Rückgang der materiellen Überproduktion und Überversorgung durch bessere und gerechtere Verteilungen kompensiert werden wird, in der die Grenzen des Systems Erde integriert sein werden, in der die Arbeit anders verteilt sein wird und veränderte Geldsysteme eine Rolle spielen werden. Regionale Aspekte und soziale Gemeinschaften werden den zivilgesellschaftlichen Sektor wieder stärken, mehr Eigenversorgung und Genügsamkeit werden zunehmend zur Stabilisierung der Gesellschaft beitragen, der wahre Wert von Produkten wird wieder mehr geschätzt werden als ihr Scheinwert. Unser aller Lebensstil und Arbeitsstil wird verändert sein, neue Balancen von Selbst- und Fremdversorgung werden entstehen und regionale Nachbarschaften werden eine größere Rolle spielen, auch bei der Produktion und der Vermarktung. Die Industrie wird sich an stofflichen Nullsummenspielen orientieren müssen, die Rückgewinnung von Rohstoffen wird eine wichtige Rolle spielen und nicht mehr benötigte Flächen für Industrie und Mobilität werden zurückgebaut sein.

Durch Umverteilung der Arbeitszeiten werden zeitliche Freiräume geschaffen, die für Eigenversorgung und gesellschaftliche Aktivitäten incl. Nachbarschaftshilfe genutzt werden können. Neue Wertemodelle werden entstehen, die die politische Orientierung am BIP aufheben. Die Fähigkeit zur Zufriedenheit und zum „Glücklichsein“ mit dem, was man hat, wird damit eine große Rolle bei dieser Postwachstumsökonomik spielen. Damit bleibt aber die Frage offen, welche Wertemodelle geeignet sind, die eine ökonomische Maximierung erlauben? Nahe liegt es, die Ökonomie wieder in den Dienst des Menschen zu stellen, wie es eigentlich sein sollte, und alles wieder (?) am Menschen zu messen. Das muss aber politisch gewollt sein und erfordert einen gesellschaftlichen Bewusstwerdungsprozess. Die Herausforderung stellt sich jedenfalls der Politik und der von ihr geförderten gesellschaftlichen Willensbildung.

Bei allem Positiven, das diese Zukunftsvision beinhaltet, bleibt aber ein großes Unbehagen, wie der Übergang, wie also der wahrscheinliche Crash des Systems erfolgen wird und welche Begleiterscheinungen er mit sich bringen wird? Und wie das anscheinend naturgegebene Streben vieler Menschen nach Mehr in eine Ökonomie ohne Wachstum hineinpasst? Geht nach einem heftigen Crash doch wieder alles von vorne los, wie gehabt? Gegen diese Vermutung stehen – längerfristig gesehen – aber die begrenzten Ressourcen. Man darf gespannt sein.